Nachrichtenfaktoren im Social Web

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Nachrichtenfaktoren sind inhaltliche Merkmale eines Ereignisses, die dieses Ereignis für ein mediales Publikum interessant machen. Alle Nachrichtenfaktoren einer bestimmten Begebenheit bilden zusammengenommen den Nachrichtenwert. Er hat Einfluss darauf, ob Medien über diese Begebenheit berichten. Die Forschung zu diesem Thema wird unter dem Begriff Nachrichtenwerttheorie zusammengefasst.[1]

Lange Jahre bezog sich die Nachrichtenwerttheorie auf Auswahlkriterien analoger journalistischer Medien wie Zeitung, Zeitschrift, Fernsehen und Hörfunk. Aktuelle Studien zeigen nunmehr, dass Nachrichtenfaktoren auch im Bereich Social Media ihre Gültigkeit haben. Hier beschreiben sie, welche Faktoren ein Ereignis aufweisen muss, um von einer Community wahrgenommen und verbreitet zu werden.

Ursprünge und Entwicklung

1922: Lippman definiert in Amerika news values

Bereits in den 1920er Jahren hat der amerikanische Publizist Walter Lippmann untersucht, nach welchen Kriterien Journalisten auswählen, welche Ereignisse es in die Berichterstattung schaffen und welche nicht publiziert werden.[2] Er ging davon aus, dass Medien keineswegs über alle weltweit stattfindenden Ereignisse berichten können und Journalisten daher aus der Flut der Ereignisse diejenigen auswählen müssen, die berichtenswert sind. Lippmann prägte den Begriff news value. Er formulierte zehn Nachrichtenfaktoren. So wird nach Lippmann ein Ereignis zum Beispiel eher publiziert, wenn es den Leser überrascht (Überraschung), einen Bezug zum Leser hat (Nähe, räumlich oder inhaltlich), für den Leser von Bedeutung ist (Relevanz und Nutzen) oder seine Neugier anspricht (Sensationalismus).

1960er Jahre: Nachrichtenfaktorenforschung in Europa

In den 1960er Jahren greifen die europäischen Forscher Johan Galtung und Marie Ruge das Modell von Lippmann auf und entwickeln es weiter. Ende der 1970er bis in die 1990er Jahre hinein befasste sich der deutsche Forscher Winfried Schulz mit den Nachrichtenfaktoren. Er definierte insgesamt 18 einzelne Faktoren, die er in sechs Dimensionen zusammenfasste.((2)) Seine Definition gilt heute noch als Basis für die weitere Forschung:

  1. Zeit (Zeitpunkt und Dauer eines Geschehens)
  2. Nähe (räumliche, politische, kulturelle Betroffenheit)
  3. Status (Bedeutung für die Gesellschaft, Prominenz der Akteure)
  4. Dynamik (Grad der Überraschung, dynamische Entwicklung)
  5. Valenz (Konflikt, Schaden, Misserfolg, aber auch Erfolg, Fortschritt)
  6. Identifikation (Bezug zu eigenen Werten und Einstellungen)

1998: Zwei-Komponenten-Modell

Hans-Matthias Kepplinger hat der Forschung 1998 einen weiteren Aspekt hinzugefügt.((3)) Er stellte fest, dass neben den bereits beschriebenen objektiven Kriterien auch die subjektive Einschätzung eines Journalisten eine entscheidende Rolle spielt. Danach empfindet ein Journalist ein Ereignis auch deshalb als berichtenswert, weil er selbst dem entsprechenden Nachrichtenfaktor eine Bedeutung beimisst. Dieser Ansatz wird als „Zwei-Komponenten-Modell“ bezeichnet.

Bedeutung der Nachrichtenwerttheorie für die Sozialen Medien

Das Social Web ermöglicht es jedem, jederzeit und überall Informationen im Internet zu verbreiten. Doch die Nutzer (User, Leser) dieser Informationen sind gezwungen, aus der unüberschaubaren Fülle an Informationen die für sie relevanten zu selektieren.

Jüngere Untersuchungen zeigen, dass sich die Selektionsmechanismen von Social Media-Usern stark an den klassischen Nachrichtenfaktoren orientieren. Hierbei sind zwei Grundannahmen zu berücksichtigen:

  • Nachrichtenfaktoren unterliegen einem gesellschaftlichen Wandel. Über eine längere Zeit gewinnen einzelne Faktoren an Bedeutung oder verlieren Relevanz. Im Grundsatz jedoch wurden die zentralen Aussagen der Nachrichtenwerttheorie über viele Jahre hinweg in zahlreichen Studien bestätigt.((4))
  • In klassischen Medien entscheiden Journalisten, welche Inhalte publiziert und dem Leserkreis zugänglich gemacht werden (vergleiche hierzu auch die Funktion des Gatekeeper). In Sozialen Medien fällt diese Gatekeeper-Funktion weg. Der User kann aus der Fülle der Informationen selbst selektieren und ist keiner Vorauswahl durch Journalisten unterworfen. Einschränkend ist hier zu nennen, dass zunehmend sogenannte Influencer die Rolle eines selektierenden Vermittlers einnehmen, indem sie in ihren Kanälen bestimmte Nachrichten auswählen und andere ignorieren.

Daniela Borowsky befasste sich in ihrer Bachelorarbeit im Studiengang „Medien und Kommunikation“ an der Universität Passau mit der Frage, nach welchen Kriterien User im Netz urteilen, ob eine Botschaft interessant genug ist, um sie zu rezipieren und sie weiter zu verbreiten. Sie untersuchte, ob die Nachrichtenfaktoren auch im Social Web Gültigkeit haben und kam dabei zu dem Ergebnis, dass ein solcher Zusammenhang durchaus zu erkennen ist: „Wenn ein Facebook-Post einen bestimmten Nachrichtenwert enthielt, wurde er in den meisten Fällen von der Mehrheit der Befragten positiver bewertet, als wenn dies nicht der Fall war. Es ist folglich sehr wahrscheinlich, dass Nachrichtenfaktoren auch als Selektionskriterien von Social Media-Usern gelten können.“ Sie fand fünf Faktoren die einen Einfluss darauf haben, ob eine Botschaft gut bei der Zielgruppe ankommt: ((5))

  1. Eindeutigkeit: die Botschaft ist klar formuliert und auf Anhieb verständlich
  2. Konsonanz: es gibt eine Übereinstimmung des Posts mit der eigenen Meinung
  3. Überraschung: der Post befasst sich mit einem außergewöhnlichen Thema
  4. Personalisierung: Der Post dreht sich um eine dem User bekannte Person (Prominenz) oder bietet ihm eine Identifikationsmöglichkeit
  5. Betroffenheit: Der Post ist für den User relevant

Weblinks

Einzelnachweise

  1. Bentele, Günter: Nachrichtenwert. In: Fröhlich Romy, Szyszka Peter, Bentele Günter (Hrsg): Handbuch der Public Relations. Wiesbaden, 3. Auflage 2015
  2. Lippmann, Walter: Die öffentliche Meinung. Wie sie entsteht und manipuliert wird. Verlag Westend, 1. Edition 2018. Originalausgabe: Lippmann, Walter: Public Opinion, 1922.